Gewerbe- und Industrieunternehmen bilden eine wichtige Grundlage für die städtische Wertschöpfung und engagieren sich darüber hinaus in ihrem Umfeld häufig mit kulturellen und sozialen Projekten oder Stiftungen. Die Wahrnehmung und der Einfluss von neuen- sowie Bestandsunternehmen auf die Stadtentwicklung bildet den Ausgangspunkt für erforderliche Kooperationen zwischen Akteur*innen der Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung in starker Kooperation mit Unternehmer*innen. Im Teil Zwei des Textes (hier zu lesen) wird die Möglichkeit der Effizienzsteigerung von Gewerbe- und Industrieunternehmen durch die Optimierung privater Stellplatzanlagen erläutert.
Die Regale in Warenhäusern, Supermärkten und Fachgeschäften sind gefüllt mit Kleidungsstücken, Haushaltsgegenständen, Lebensmitteln, Elektroartikeln, Werkzeugen. Eine unüberschaubare Anzahl von Produkten - wird hier dargeboten. Häufig sehen oder erfahren wir nicht wo, durch wen und wie diese hergestellt werden. Streifzüge durch Gewerbe- und Industriegebiete geben wenig Aufschluss. Entwickelt, produziert und verladen wird hinter Zäunen und verschlossenen Toren. Durch wenige Hallenfenster lässt sich die Betriebsamkeit der Produktionslinien und Hochregallager erahnen.
Die Kommissionierung von Einzelteilen, die Vorbehandlung dieser und das Zusammenführen am Schweißroboter sind nur ein Schritt auf dem Weg zum fertigen Produkt. Schichtarbeit, die klimatischen Bedingungen in der Fertigung und die Geräuschkulisse, ebenso wie mögliche Gerüche sind Begleiterscheinungen auf dem Weg in die Schaufenster und Regale.
Produktionsbetriebe in Rochefort Océan, Frankreich; Fotos: Kai Michael Dietrich
In kleinen sowie mittelgroßen Städten ist es möglich das betriebliche sowie außerbetriebliche Aktivitäten einzelner produzierender Unternehmen zu verfolgen. Hier ist ein Großteil der Bevölkerung bei nur wenigen Betrieben angestellt. Dies führt zu vielfältigen sozialen, baukulturellen und medialen Verknüpfungen. Die Akzeptanz gegenüber den eigenen Arbeitgeber*innen, Auftraggeber*innen, oder der Lebensgrundlage von Freund*innen und Nachbar*innen ist hier erfahrungsgemäß hoch. Unternehmen unterstützen Sportvereine, Feste, die Sanierung von Denkmälern oder eröffnen eigene Museen zur Firmengeschichte. Auch firmeneigene Kunstsammlungen werden häufig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In Gesprächen werden Aussagen getroffen wie: „Was wäre unsere Stadt ohne das Unternehmen XYZ?“
ottobock in Duderstadt stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Handelns. Die Produktion von Prothesen verbessert das Leben der Kunden*innen, das Werk in Duderstadt den Arbeitsalltag der Mitarbeiter*innen. Das eigene Hotel dient Geschäftspartner*innen aber auch Gästen der Stadt. Das weitreichende soziale Engagement erstreckt sich über die Baukultur und auch Sicherheit der Duderstädter*innen. Durch Spenden wurde die Sanierung historischer Bauwerke wie dem Westerturm und einem Brunnen im Stadtzentrum unterstützt. Die Anschaffung eines neuen Feuerwehrautos durch das Unternehmen kommt nicht nur der neuen Kunststoffproduktion, sondern der gesamten Stadt zu Gute. Zum 100-jährigen Jubiläum hielt Angela Merkel im kleinen Duderstadt eine Rede und der mit dem Geschäftsführer Hans Georg Näder befreundete Peter Maffay gab ein kostenloses Konzert in der Fußgängerzone.
Beispiel für Engagement im Bereich der Baukultur. Denkmalgerechte Sanierung der historischen Altstadt und moderne Architektur ermöglicht durch OttoBock in Duderstadt; Fotos: Kai Michael Dietrich
Der Textilverlag nya nordiska hat sich entschlossen die Unternehmung im kleinen Dannenberg an der Elbe durch zwei Betriebserweiterungen zu sichern. Herr Röntgen, zu Zeiten der Erweiterungen Geschäftsführer und heute beratend für das Unternehmen tätig, berichtete in einem Gespräch, dass die Mitarbeiter*innen von der zentralen Lage profitieren und in der Mittagspause Einkäufe erledigen oder Freunde treffen. Die Erweiterung durch das renommierte Büro Staab Architekten (Berlin), dass sich in einem Wettbewerb durchsetzen konnte hat gleichzeitig zu einer neuen Qualität am Arbeitsort und nationaler sowie Internationaler Aufmerksamkeit für nya nordiska geführt. Es kamen führende Politiker zur Eröffnung und die Neubauten erhielten zahlreiche Design- und Architekturpreise.
nya nordiska entscheidet sich am Standort Dannenberg für eine anspruchsvolle Architektur im Ortskern. Fotos: Kai Michael Dietrich
Auch in größeren Städten engagieren sich Unternehmer*innen weit über die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Gewerbesteuer und die Vergabe von Aufträgen an das Handwerk und den Dienstleistungssektor hinaus. Hier ist die Anzahl der Unternehmen im Vergleich zu kleinen Kommunen deutlich höher. Viele ehemalige Produktionsstätten sind auf Grund von Erweiterungsbedarf und strengeren Regularien in Gewerbe- und Industriegebiete an den Stadtrand verlagert worden. Durch die zunehmende Automatisierung ist die Zahl der Angestellten im produzierenden Sektor in den letzten Dekaden stark zurück gegangen. Daraus folgt das weniger Menschen zur Arbeit in die Industrie- und Gewerbegebiete fahren. Das einzelne Unternehmen und sein Handeln werden in der Stadt weniger sichtbar und der Zusammenhalt in der Nachbarschaft meist geringer. In den ehemaligen repräsentativen – nun zumeist innerstädtisch gelegenen – Fabrikgebäuden finden sich heute hochwertige Büro- und Wohnprojekte. Beispielhaft sind hierfür die ehemaligen Spindlerwerke (Wäscherei und Färberei) in Berlin oder der ehemaligen FFG Fahrzeugtechnik (Bau von Straßenbahnwagen) in Hamburg zu nennen.
Das ehemalige Werksgelände der FFG Fahrzeugtechnik in Hamburg ist heute ein Wohn- und Dienstleistungsstandort; Fotos: Kai Michael Dietrich
Neuansiedlungen von Produktionsunternehmen bilden heute in prominenter Innenstadtlage die Ausnahme. Nur kleinere Handwerksbetriebe – wie Bäckereien, Brauereien, Schlachthöfe - sind noch in durchmischten Quartieren zu finden. Grund hierfür sind unter anderem fehlende Flächenreserven für weiteres Unternehmenswachstum, Anforderungen aus neuen Maschinen, der zunehmende Verwertungsdruck, die ansteigenden Grundstückspreise oder auch aufkommende Nutzungskonflikte des Wohnraums im Umfeld. So sind Neuansiedlungen von störenden Gewerbebetrieben in bestehenden Gebieten so gut wie ausgeschlossen. Entweder lassen die bestehenden Regularien oder konträre Interessen z.B. von Anwohner*innen dies nicht zu. Es scheint jedoch, als würde der Stadtbevölkerung die Akzeptanz der Produktion von Gütern, die wir täglich konsumieren leichter fallen. Dies zeigt beispielsweise die Österreicher Waffel Manufaktur von Joseph Manner. Im 15. Wiener Stadtbezirk, wo er einst im Elternhaus sein Unternehmen gründete, wird heute in einer deutlich größeren städtischen Fabrik auf fünf Stockwerken angeliefert, produziert, verpackt und verkauft.
Erst eine thematisch und zeitlich weitgefasste Betrachtung ermöglicht uns ein besseres Verständnis für den konkreten Einfluss von Unternehmer*innen. Denn dieser zeigt, dass Städte – neben Wohnorten – in erster Linie auch Arbeitsmärkte sind. Arbeit prägt und bestimmt den Rhythmus unseres gesellschaftlichen Alltages und unsere Bewegungsmuster. Eine stabile lokale Wirtschaft ermöglicht erst die Entwicklung und den Betrieb von Freizeitangeboten wie Parks, Museen, Sportstätten sowie Kunst- und Kultureinrichtungen.
Mehrere Beispiele aus der Geschichte der Stadtentwicklung illustrieren dies eindrücklich. So orientierte sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die Stadtentwicklung fast ausschließlich an den großen Industriebetrieben. Entsprechend ihrer Standorte wurde Infrastruktur im Ausbau von Straßen und Kanälen realisiert. Die Unternehmen selbst waren am Bau von stadtbildprägenden Arbeitersiedlungen beteiligt, um ihren Arbeiter*innen ein adäquates und erholsames Wohnumfeld nahe der Fabrik zu bieten und diese durch Mietverträge an das Werk zu binden. Die Zugehörigkeit zum Werk und die soziale Nähe zu den Kollegen*innen förderte den Zusammenhalt. Im Ruhrgebiet wurden im Jahr 1887 rund 94.000 Werkswohnungen gezählt, in Berlin wurden durch die AEG und Siemens von namenhaften Architekten Werkswohnungen realisiert. Auch in Hamburg plante und realisierte Peter Behrens die Arbeiter- und Werkmeistersiedlung in Finkenwerder und die Beamtensiedlung in Othmarschen für Angestellte der Deutschen Werft.
Erst mit der aufkommenden Funktionstrennung in der 1920er Jahren wanderten die produzierenden Unternehmen zunehmend an den Stadtrand. In zentralen Lagen wurden durch den Wandel in der Arbeitswelt Kontor- und Wohnhäuser realisiert. Der prozentuale Anstieg von Angestellten im Dienstleistungssektor und der steigende Anspruch an Wohnraum in Quadratmeter pro Kopf führte zu einem neuen Fokus der Stadtentwicklung. Die Schaffung von Büroräumen und vor allem Wohnraum dominierte die politische Diskussion und auf Konversionsflächen kam es zur Aufgabe zuvor produktiv genutzter Stadtteile.
Häufig wird vergessen, dass erst die Fertigung und Veredelung von Produkten – und die seit Jahren steigende Wertschöpfung - in der Industrie zu hohen Investitionen im Bereich Forschung & Entwicklung sowie Dienstleistung führen und somit maßgeblich zu einem ausgewogenen städtischen Haushalt beitragen.
Der Zustand in vielen bestehenden Industrie- und Gewerbegebieten lässt sich heute häufig mit ausverkauft, produktiv und vernachlässigt zusammenfassen. Ein Großteil der Flächen ist im Privatbesitz, was eine aktive Ansiedlungspolitik und Betriebserweiterungen ansässiger Unternehmen erschwert. Unternehmen haben über die Jahre die Abläufe und Immobilien auf ihren Grundstücken optimiert, um Produktivitätssteigerungen zu realisieren. Jenseits der Firmengelände hat die öffentliche Hand wenig in die Infrastruktur und Qualität der öffentlichen Räume investiert.
Während Politik und Stadtentwicklung in den letzten Dekaden verstärkt die Innenentwicklung und den Wohnungsbau in den Fokus gerückt hat, betreiben Wirtschaftsförder*innen zumeist unabhängig flächenorientierte Ansiedlungsstrategien. Erst jüngere übergeordnete Rahmenkonzepte der Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsbehörden thematisieren moderne Arbeitswelten und setzten neben der Sicherung von Flächen für die Industrie auf thematische Schwerpunkte, die die Qualifizierung von Grundstücken, vertikale Nachverdichtung, Akzeptanzsteigerung und Umweltaspekte beinhalten.
Die Gewerbe- und Industriegebiete sind am Zug. Die öffentliche Hand hat die volkswirtschaftliche Bedeutung des produzierenden Gewerbes erkannt und stützt diese in seinen Entwicklungskonzepten. Die Industrie soll gerade für junge Menschen wieder interessant gemacht werden und deren Position in zentraler Lage stärken. Die Industrie möchte wieder in die Stadt. Nahe an die Ressource Mensch als entscheidenden Produktionsfaktor. Weg von der Abhängigkeit langer Transportwege und damit einhergehenden finanziellen und ökologischen Kosten. In der Freien und Hansestadt Hamburg unterzeichnete die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation und der Industrieverband Hamburg e.V. (IVH) im Jahr 2019 das „Bündnis für die Industrie der Zukunft“ und benennt einen mit dem Staatsrat Dr. Sevecke einen Industriekoordinator, der in enger Zusammenarbeit mit dem IVH die Belange der Industrie in der Stadtentwicklung vertritt. Dabei sollen Veranstaltungen zur Steigerung der Akzeptanz und technische Maßnahmen zum Klimaschutz eine besondere Rolle einnehmen.
Viel gefragte Fachkräfte wählen potenzielle Arbeitgeber*innen neben der Honorierung nach Faktoren wie Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes mit alternativen Verkehrsmitteln, Qualität des Arbeitsumfeldes und ergänzenden Angeboten wie vorhandene Nahversorgung aus. Unternehmen sind angehalten sich über ihr Grundstück hinaus an der Gestaltung der Areale zu beteiligen und die wenigen verbleibenden Handlungsspielräume durch Effizienzsteigerung zu nutzen. Die Reduktion wie die Stapelung des ruhenden Verkehrs erweisen sich als Möglichkeit kleine bis mittlere Erweiterungsbedarfe für die Produktion oder Lagerhaltung zu ermöglichen.
Danke an Christian Scheler und Hanna Lange für den inhaltlichen Austausch sowie das Lektorat des Textes.